Pécs in Ungarn ist seit 1989 eine Partnerstadt von Graz. Über Jahrzehnte hinweg entwickelten sich lebendige kulturelle Beziehungen: Grazer:innen reisten nach Pécs, und Pécser:innen kamen nach Graz. Beim letzten „Aufsteiern“ beispielsweise gab es einen bemerkenswerten Auftritt der Fünfkirchen-Leőwey Tanzgruppe mit einer spannenden Erläuterung der künstlerischen Leitung über die Gemeinsamkeiten der steirischen und ungarndeutschen Musik- und Tanzkultur. Am 4. Oktober reisten wir jedoch nicht aufgrund dieser kulturellen Anlässe von Graz nach Pécs.

Wir brachen morgens um 5:30 Uhr auf und kehrten erst nach 23:00 Uhr zurück. Es war ein anstrengender Tag, aber die Teilnahme an der fünften Pécs Pride, bereits zum zweiten Mal nach dem letzten Jahr, hat sich gelohnt. 24 Personen fuhren im Bus mit, darunter die KPÖ-Gemeinderätin und Klubobfrau Sahar Mohsenzada, die SPÖ-Gemeinderätin Anna Robosch, NEOS Gemeinderat Philipp Pointner und der Grünen-Gemeinderat Tristan Ammerer.
Erfahrungen und Beobachtungen
Kurz nach dem Ausstieg aus dem Bus wurden wir von der Polizei „kontaktiert“. Das Kostüm von Jodie Fox, die als Dragqueen mit uns reiste, entsprach den gesetzlichen Vorschriften nicht. Der Polizist erklärte, Jodie müsse die Teile des Kostüms, die laut Gesetz eine „schlechte Wirkung auf Kinder“ haben könnten, mit einem Tuch bedecken. Er führte zudem aus, dass Jodie gegen das Gesetz verstoße, weil er ein Mann sei, aber offensichtlich „weiblich“ geschminkt ist, und forderte sie auf, insbesondere vor Kindern kein „aufreizendes Verhalten“ zu zeigen. Jodie war die einzige Person aus unserer Gruppe, die sich ausweisen und deren Daten aufgenommen werden mussten. Ob dies zu einer Strafe führen wird, bleibt abzuwarten. Der Polizist betonte übrigens mehrmals, dass seine Äußerungen „dem Gesetz entsprechend“ seien und er sie deshalb tätigen müsse. Diese erste Begegnung verdeutlichte uns bereits in den Anfangsminuten, warum wir nach Ungarn gereist waren. Der Polizist erfüllte dabei lediglich seine Pflicht, die ihm von dem autoritären, repressiven und einschüchternden Regime in Ungarn auferlegt wurde.

Als wir dort standen, zog gerade eine der Gegendemonstrationen an uns vorbei. Hinter der Polizeikette ertönten uns gegenüber deutliche, unflätige Rufe. Dies war eine weitere Erfahrung, die die prekäre Lage und tiefe Spaltung der Gesellschaft in Ungarn widerspiegelte. Nach einer Pause bei Kaffee und Kuchen begaben wir uns zum Kossuth-Platz. Auch dort passierten wir eine Polizeikette, die wegen einer Handvoll Gegendemonstrant:innen aufgestellt war. Die Stimmung auf dem Kossuth-Platz, dem Startpunkt der Pride-Demonstration, war jedoch sehr gut, da Gegendemonstrant:innen hier keinen Zutritt hatten. Anschließend begann der Umzug verspätet und auf einem unangekündigten Weg, den nur die Veranstalter:innen kannten. Wir marschierten hinter dem Wagen der Zweischwanzhund-Partei, einer Witzpartei in Ungarn, ebenfalls in ausgezeichneter Stimmung. Auch vor der Kathedrale von Pécs waren Gegendemonstrant:innen postiert, die jedoch kaum zu sehen waren, da zahlreiche Polizisten und Polizeifahrzeuge ihren Weg versperrten.
Solidarität und Wirkung
Wir erfuhren große Aufmerksamkeit seitens der Medien: Viele wollten uns fotografieren und zeigten sich erfreut über unser Banner mit der Aufschrift: “From Graz with Love – You are not alone.”.

Die Tatsache, dass die Pécs Pride formell verboten war, war den ganzen Tag über erkennbar. Dies zeigte sich jedoch nicht im negativen Sinne, eher im Gegenteil. Im Vergleich zum Vorjahr, als alle Nebenstraßen hermetisch abgeriegelt waren und wir alleine marschierten, lief die Demonstration heuer so frei wie nie zuvor. Es wiederholte sich die Situation vom Juni an der Budapest Pride. Das Verbot diente aber natürlich hervorragend zur Einschüchterung. Die Teilnehmenden waren zwar bunt und glücklich. Dennoch hörten wir von mehreren Pécser:innen, dass Bekannte und Freunde aus Angst vor Repressalien, Kündigungen usw. ferngeblieben waren. Daher waren heuer weniger Einheimische bei der Parade, der Großteil kam aus anderen Teilen Ungarns und, wie wir, aus dem Ausland. Ohne diese internationale Unterstützung wären deutlich weniger Menschen als bei früheren Pécs Prides dabei gewesen.

Deshalb war die Solidarität aus dem Ausland diesmal so essenziell. Das war deutlich spürbar. Ein Pride-Teilnehmer aus Pécs formulierte es so, dass es sich extrem gut anfühle, dass die Ausländer nicht aufgegeben hätten, die Ungar:innen mit ihrer Solidarität zu unterstützen, obwohl viele Ungar:innen selbst schon die Hoffnung aufgegeben haben, dass es in diesem Land jemals besser wird.










